Vor 150 Jahren übernahmen die Armen Schulschwestern das Kath. Waisenhaus:
„Mütter der Waisen“ wurden sie genannt und waren es auch in des Wortes edelster Bedeutung, seit das Kath. Waisenhaus Augsburg vor 150 Jahren als eines der ersten in Bayern dem Orden der Armen Schulschwestern anvertraut wurde. Ein junger Orden damals, erst 1833 von Karolina Gerhardinger, die später den Ordensnamen Theresia von Jesu annahm, gegründet, mit dem Ziel, „die Erziehung und Bildung von Mädchen aus armen Bevölkerungsschichten zu verbessern“. Bereits 1852 erhielten die Armen Schulschwestern Unterstützung von höchster Stelle durch die Empfehlung des bayer. Königs Max II, „den Orden im Kampf gegen die drohende Volksverarmung einzusetzen“. Das war wohl auch der Grund für den Antrag der Stiftungsadministration an die Stadt Augsburg, Kontakt mit dem Orden aufzunehmen zur Übernahme des Kath. Waisenhauses. Eine verlockende Lösung für die Stadt zur finanziellen Entlastung und trotzdem nicht ohne Schwierigkeiten. Die oberhirtliche Genehmigung des Bischofs, der an der Eignung der Schwestern für die Erziehung von Buben zweifelte, musste erst durch Bewährungsproben von der Ordensgründerin erkämpft werden. Bischof Peter Richarz gehörte später zu den großen Förderern des Waisenhauses.
Am 1. Oktober 1853 begannen also die Schwestern ihre Arbeit mit 92 Waisenkindern im Hause und damals schon 36 außerhalb wohnenden Lehrlingen und Dienstmädchen. Ihre Aufgaben waren recht vielseitig: Erziehung, materielle Versorgung, Krankenpflege und Schulunterricht der Kinder. Hinzu kamen die Besorgung des gesamten Hauswesens, die Instandhaltung des Hauses und schließlich die Weiterführung der Landwirtschaft. Noch 1944 sind mitten in der Stadt 14 Stück Vieh, zusätzlich Schweine und Hühner für die Ernährung der Waisenkinder gehalten worden. Der Wechsel zu den Schwestern führte sogleich zu baulichen Erweiterungen, die schon im Folgejahr eine Aufnahmekapazität von 140 Kindern brachte. Durchschnittlich waren 20 Schwestern, 2 bis 3 Kandidatinnen und einige Hilfskräfte im Hause tätig. Trotz der gestiegenen Kinderzahl gelang es, das Waisenhaus wirtschaftlich unabhängig zu machen. Die Einkünfte aus der Landwirtschaft, sparsame Bewirtschaftung, unermüdlicher Arbeitseinsatz gegen minimale Entlohnung und die gestiegene Bereitschaft bei Wohltätern, Spendern und Erblassern haben es der Stadt ermöglicht, ab 1862 die städtischen Zuschüsse einzustellen.
Hinter diesen Leistungen aber steht eine tiefe Gläubigkeit und christliche Nächstenliebe. Die Armen Schulschwestern stellten den Dienst an den Kindern allen persönlichen Interessen voran und haben damit auch ein Stück Sozialgeschichte der Stadt Augsburg geschrieben. Schätzungsweise 2.500 bis 3.000 Zöglinge sind von den Schwestern bis 1954 im Heim erzogen und betreut worden. Drei große Kriege fielen in diese Zeit: 1870, 1914 und 1939. In der Augsburger Schreckensnacht vom 25. zum 26. Februar 1944 wurde die ganze Anstalt bis auf ein verpachtetes Nebengebäude zerstört. Beim Wiederaufbau legten die Schwestern tatkräftig mit Hand an, organisierten Sammelaktionen und halfen bei den Bauarbeiten.
Die Nachkriegsjahre haben die soziale Landschaft verändert. Neue Aufgaben sind für die Heime entstanden. Eine pädagogische Umorientierung hat die Aufteilung in familienähnliche Gruppen und die Bildung von Wohngruppen außerhalb der Heime verlangt. 1967 wurde die Waisenhausschule geschlossen zu Gunsten der öffentlichen Schulen. Im gleichen Jahr wurde erstmals von den Schwestern eine heilpädagogische Abteilung im Waisenhaus eingerichtet. Nachwuchsmangel im Orden zwang jedoch zu der bitteren Entscheidung, dass die Schwestern 1986 das Haus verlassen mussten. Die heutige St. Gregor-Jugendhilfe mit ihren vielfältigen Formen der Betreuung von Kindern, Jugendlichen und Familien atmet noch ihren Geist christlicher Nächstenliebe und pflegt das Andenken an „ihre“ Armen Schulschwestern.
Dr. Walter Berz,
Ehemaliger Administrationsvorsitzender der Katholischen Waisenhaus-Stiftung