Maria-Anna Immerz, Jahrgang 1959, im Hauptberuf Leiterin der Stabsstelle Ehe, Familie und Lebensschutz und verantwortliche Beauftragte des Bistums für den Sozialdienst kath. Frauen Augsburg e. V. sowie für den Fachbereich Schwangerenberatung und die Bischöfliche Aktion Pro Vita, wurde zu Beginn des Jahres 2010 in die Administration der Katholischen Waisenhaus-Stiftung gewählt. Mit der Diplom-Theologin verstärkt der Stiftungsrat seine Verbindung zur Kirche und holt sich eine in Organisationsleitung erfahrene Frau an Bord.
Lernen Sie sie im Gespräch über Pädagogik und Werte kennen.
Frau Immerz, nach zahlreichen Ehrenämtern z. B. in der Jugendarbeit, in Pfarrgemeinden, im ‘Eine-Welt-Forum’ und im Verein ‘Tür-an-Tür’ haben Sie sich zu einer Mitarbeit in unserem Stiftungsrat entschlossen. Warum gerade hier?
Immerz:
Ich habe mich über längere Jahre in verschiedenen Bereichen engagiert, sehr lange in der sozialen Arbeit in meinem Wohnstadtteil und Pfarrgemeinde. Diese Dinge sind zu Ende gekommen, das heißt, ich war frei für neue ehrenamtliche Aufgaben. Da kam der Zufall ins Spiel, ein Signal, dass ich gebraucht werde.
Durch meine bisherigen Ehrenämter zog sich der rote Faden ‚Soziales’ und es passt zu mir, mich für Menschen zu engagieren, die aus unterschiedlichen Gründen in benachteiligten Situationen sind. Ich hoffe, dass ich aus meinen bisherigen Ehrenämtern und beruflichen Tätigkeiten einiges an Erfahrung und Wissen einbringen kann.
Gregor:
Und was möchten Sie da einbringen, welche Wünsche verbinden Sie mit Ihrer neuen Aufgabe in der Administration unseres Hauses?
Immerz:
Zunächst bin ich jemand, die erst mal sorgfältig hinhören und hinschauen mag. Ich komme ich nicht mit fertigen Ideen.
Ich wünsche mir ein gutes Miteinander bei den Verantwortlichen, sei es in den Gremien, sei es bei den Hauptberuflichen, bis hin zu Stiftern und Förderern. Dass alle mit hoher Präsenz schauen, was jetzt Auftrag ist in der guten Tradition dieser Stiftung: für Menschen in heutigen Lebenssituationen, mit heutigen Bedürfnissen; und dass wir gemeinsam Sorge tragen, dass die St. Gregor-Jugendhilfe zu dem passt, was junge Menschen und ihre Familien heute brauchen, ggf. auch in neuen Formen der Unterstützung und Begleitung.
Aus meiner beruflichen Arbeit ist mir vertraut: Soziale menschenorientierte Einrichtungen müssen sich heute in hohem Tempo und zugleich sehr sensibel darauf einstellen, wie sich unsere Gesellschaft verändert und damit auch die Lebensbedingungen für junge Menschen. Wenn ich zu diesen Aufgaben auch einmal einen geistlichen Impuls dazu legen kann, freut es mich.
Gregor:
Viele der Kinder und Jugendlichen, die bei uns leben, haben bereits schwere Enttäuschungen mit Erwachsenen hinter sich. Wie können Pädagogen da Glaubwürdigkeit und Authentizität aufbauen?
Immerz:
Da ich selber nicht Pädagogin bin, möchte ich mich mit Ratschlägen zurückhalten. Was ich wichtig finde: Zunächst selber Persönlichkeit zu sein als Pädagoge und Pädagogin; offen und verlässlich, großherzig im Sinn von ‚ein weites Herz für die Menschen haben’; mit Wertschätzung mit Menschen umzugehen und den Blick dafür zu haben, was das Leben schon schwer gemacht hat für junge Menschen. Und immer sehen, wo beim Einzelnen Entwicklungspotenzial ist und daran zu arbeiten – ressourcenorientiert also, um es mit dem Fachbegriff zu sagen.
Gregor:
Welche Rolle spielt für Sie dabei der Glaube?
Immerz:
Ich halte ihn für wichtig, weil er viel zu tun hat mit Haltungen und Menschenbild. Der christliche Glaube legt uns ins Herz, groß vom Menschen zu denken – von anderen und von mir selbst. Diese Grundüberzeugung zu haben, dass Gott bei der Schöpfung jedes Menschen gesagt hat: ‚Und siehe es war sehr gut’; und dass das in jedem Menschen steckt.
Insofern ist der Glaube die Chance, dieser Haltung das Fundament zu geben, der Haltung wertschätzend mit anderen umzugehen. Das kann in ganz verschiedenen Ausdrucksformen des Glaubens geschehen.
Gregor:
Bei den Herkunftsfamilien unsere Kinder und Jugendlichen handelt sich häufig um so genannte „broken-home-families“, die wenig bis keine Kontinuität bieten. Welche Rolle kann Kirche in der Erziehungshilfe da spielen?
Immerz:
Die Kirche hütet dieses Grundwissen des Glaubens und will es unter immer neuen Bedingungen weiter geben: Entscheidend ist der Blick auf den Menschen, wie ihn Gott auf uns Menschen hat: groß, als Ebenbild von Gott selbst. Und dass wir Menschen, wenn es in unserem Leben schwer wird, uns bei Gott ‚anlehnen‛ dürfen – und bei allen, die sich an ihm orientieren.
Diese Kombination finde ich grandios an der christlichen Botschaft – und eine Herausforderung an die Kirche: Gerade denjenigen, die unter schwierigen Startbedingungen ins Leben gehen, verlässlich erfahrbar zu machen: In dir stecken mehr Möglichkeiten, als du selber meinst – und dazu kommen die Möglichkeiten, die Gott mit dir hat! Das gilt auch für die Erzieher und Begleiter. Das kann viel Kraft geben, im Engagement mit Kindern und Jugendlichen nicht müde zu werden.
Gregor:
Was halten Sie vom pastoralen Ansatz, der in unserem Hause praktiziert wird, der religionssensiblen Erziehung?
Immerz:
Klasse, wenn Einrichtungen, die aus einer kirchlichen Tradition kommen, den Menschen ‚selbstverständlich‛ als Ganzen sehen – wenn also eine Dimension von Menschsein das ‚Spirituelle‛ ist, das auch die anderen Dimensionen von Menschsein durchzieht.
Es ist kostbar, wenn von klein auf spürbar ist: Das Religiöse gehört zu dir, ob du es weißt oder nicht. Kinder wissen das nicht im Kopf, aber sie spüren es. Ihre unbefangenen religiösen Fragen zeigen es doch manchmal unmissverständlich. Vielleicht stellen gerade Kinder und Jugendliche, die nicht auf der Erfolgsseite des Lebens stehen, religiöse Fragen: ‚Warum bin ich da?’ ‚Hat das Ganze einen Sinn?’
Sie haben ein Recht darauf, dass Menschen mit ihnen Wege gehen, die sie ahnen lassen: Glaube kann mir Kraft geben und Stütze und Schutzraum. Und er befreit, weil er mich sicher sein lässt: Ich bin wer! Wenn die St. Gregor-Jugendhilfe den Raum dazu bietet, in einem gut ‚geerdeten‛ Miteinander das Spirituelle in verschiedenen Ausdrucksformen zu erleben und auch für sich selbst auszuprobieren, ist das eine echte Chance fürs Leben.
Gregor:
Die andere Dimension dabei ist ja die gelebte Dienstgemeinschaft oder, wie es in unserem Haus ebenfalls formuliert wird, den Dienst aller Mitarbeiter als pastorales Wirken zu sehen, weil am Menschen (als dem Bild Gottes) orientiert.
Immerz:
Wenn jemand aus dem Glauben lebt, dann drückt sich das oft in Dingen aus, die man zunächst nicht unmittelbar mit dem Glauben verbindet. In der Administration zum Beispiel muss vorwiegend Sacharbeit geleistet werden. Da geht es auch um Haushaltsfragen, vielleicht um Sparmaßnahmen. Da sind Werthaltungen wichtig, zum Beispiel, wie man verantwortliche Mitarbeiter in notwendige Entscheidungsprozesse einbezieht.
Bei meiner Ausbildung für Verkündigungsarbeit im Radio ist mir das einmal bewusst geworden, als uns ein Trainer sagte: „Der Radiohörer hört, was Du lebst – und nicht zuerst an dem, was du sagst, sondern wie du es sagst.“ So ähnlich stelle ich mir das auch für die Dienstgemeinschaft bei St. Gregor vor. Sie kann damit ein sympathischer und glaubwürdiger „Vorposten“ von Kirche sein, bei jungen Menschen, die mit Kirche in ihren klassischen Vollzügen, z. B. in der Pfarrei, kaum in Berührung kommen.
Und sie kann ein Modell sein, wie gutes Miteinander geht, das Kinder und Jugendliche in ihren Familien oft so brüchig und belastend erlebt haben. Wenn sich das dann auch gelegentlich in ausdrücklich religiösen Formen zeigt – in einem ehrlichen religiösen Gespräch oder einem beflügelnden „echten“ Gottesdienst: Toll!